Wirtschaft
„Uns fehlt die Gründerkultur“
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Welche Rolle spielen Start-ups für ein dynamisches Innovationsgeschehen und warum sind wir im internationalen Vergleich nicht gut darin, uns in einen Standort für diese Unternehmen zu verwandeln? Wir liegen da wirklich weit zurück, und das ist ein großer Nachteil. Wir denken in Deutschland in der Wirtschaftspolitik nach wie vor sehr stark an die etablierten Unternehmen, statt auch einmal im Interesse der Dynamik auf Start-ups zu setzen. Ein Beispiel ist die Corona-Warn-App. Da war am Anfang ein Start-up involviert, aber am Ende kamen doch wieder SAP und die Telekom zum Zuge. Man muss sich auch darüber im Klaren sein, wie die Big Tech Companies mit der Konkurrenz durch Start-ups umgehen: indem sie diese oft einfach aufkaufen. Damit holen sie sich erstens neue Ideen, zweitens ziehen sie kompetente Leute an Bord und drittens verhindern sie Konkurrenz. Letzteres ist zwar ein großes Problem, aber man wundert sich schon, dass die großen deutschen Unternehmen mit Blick auf Ideen und Kompetenz so zögern, mit Start-ups wenigstens zu kooperieren.
Was machen da andere Länder anders? Im Vergleich zu anderen Ländern fehlt uns einfach die Gründerkultur. Im Silicon Valley gibt es erstens viele Talente, auch dank der Migrantinnen und Migranten aus aller Welt, die wissen, dort kann man was aufbauen, und falls man scheitert, kann man den nächsten Versuch unternehmen. In Deutschland haben wir keine Kultur der zweiten Chance. Zweitens fehlt es an der Finanzierung. Und drittens haben wir einen Nachteil im Vergleich zu Amerika und China: Unser Markt ist viel kleiner. Gerade deswegen wäre es im europäischen Binnenmarkt wichtig, dass wir im digitalen Bereich die Regularien vereinheitlichen, um eine Produktion schnell hochfahren, „skalieren“ zu können. Aber das schaffen wir ja noch nicht mal innerhalb Deutschlands. Pharma-Unternehmen, die hier eine Studie laufen lassen wollen, um Medikamente zu testen, müssen in jedem einzelnen Bundesland mit den Datenschutz- und Ethikbeauftragten sprechen, und alle haben ihre eigenen Vorstellungen…

„Der Markt schafft neue Güter nicht von selbst, sondern es braucht dafür kreative Ideen.“
Was muss sich ändern, damit die Finanzierung von Start-ups leichter wird? Die Finanzierungsmöglichkeiten fehlen gar nicht so sehr in der Gründungsphase als vielmehr später, wenn ein Unternehmen in die Wachstumsphase kommt. In den Vereinigten Staaten gibt es Ankerinvestoren wie die Pensionsfonds, die in Start-ups investieren. Bei uns hingegen führt die Regulierung dazu, dass ein Lebensversicherer nicht in Start-ups investieren darf, weil er bestimmte Mindestrenditen erwirtschaften muss. Wir müssen also etwas an der Regulierung ändern. Wenn erst einmal ein Ankerinvestor an Bord ist, kann es einem Start-up auch leichter gelingen, weitere Investoren zu gewinnen.
Die deutsche Gründer- und Unternehmenslandschaft ist wenig divers. Die meisten Manager sind männlich, deutsch, weiß. Schadet uns das? Ich halte das für sehr problematisch, weil es uns sehr zurückhält. Diverse Teams denken diverser, sind innovativer. Der Markt schafft neue Güter nicht von selbst, sondern es braucht dafür kreative Ideen. Diese sind das Ergebnis unterschiedlicher Denkweisen und Erfahrungshintergründe der Menschen. Insofern verschenkt man eine ganze Menge Potenzial, wenn man allzu homogene Gruppen hat.
Warum sind auch so wenige Start-ups entsprechend divers aufgestellt? Das hat wieder etwas mit der Finanzierung zu tun. Studien zeigen, dass Frauen in Finanzierungsrunden deutlich schlechter abschneiden als Männer. Das liegt oft an Stereotypen. Selbst wer glaubt, er entscheide allein nach Qualität, unterliegt häufig solchen Stereotypen und schätzt Qualität und Potenziale der entwickelten Produkte unterschiedlich ein, je nachdem, ob das Projekt von einem Mann oder einer Frau vorgetragen wird.
Und auf der anderen Seite kommen männliche Gründer mit einer wenig innovativen und nachhaltigen Idee und setzen sich durch? Für mich zeigt das, dass wir es doch mit Stereotypen zu tun haben und dementsprechend zu wenig Chancen für solche Start-ups, ihre tollen Ideen wirklich zu realisieren. Und ja, da fehlt uns was.

Annett Witte ist stellvertretende Geschäftsführerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und leitet deren Liberales Institut.
Fotos: Jan Roeder, FNS